Fünf Fragen, die ich als Schreibberaterin nicht mag

Um es gleich am Anfang zu sagen: ich liebe meine Arbeit als Schreibberaterin. Es ist wunderbar,  Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gedanken, Ideen, Fantasien in Worte zu fassen und sie über sich herauswachsen zu sehen. Egal, ob es sich bei den Schreibenden um Jugendliche mit kleineren Arbeiten, Maturanden oder Lernende an ihren Matura- oder Abschlussarbeiten oder ältere Menschen handelt, die ihre Erinnerungen notieren. Jeder Text gibt mir Einblick in eine neue, vorher unbekannte Welt, fordert mich heraus und bereichert mich.
Es gibt aber fünf Fragen, die ich als Schreibberaterin nicht sonderlich mag oder die mich sogar ärgern.

1. Kannst du dir mal schnell diesen Text ansehen?

Ich liebe es, wenn dann folgt: ich muss meine Arbeit morgen abgeben. Klar, könnte ich deinen Text schnell ansehen. Aber was erwartest du von mir? Soll ich ihn überfliegen? Willst du hören, wie toll du schreibst? Oder …? Was interessiert dich? Was soll dir meine Rückmeldung bringen?

Wer sich an die Schreibberatung wendet, muss sich vorher Gedanken machen, was als Leistung erwartet wird. Einen Text einen Tag vor Abgabe zeigen, ohne dass er vorher bereits einmal gecoacht und überarbeitet wurde, ist reine Zeit- und Geldverschwendung. Nicht ohne Grund empfehle ich rund 30% der Gesamtzeit in die Überarbeitung zu stecken.

Willst du von der Schreibberatung profitieren, dann beginne bereits früh mit dem Einholen von Rückmeldungen, bevor du das Gefühl hast, dein Text sei fertig. Erfahrungsgemäss hast du auch weniger Angst oder Bedenken vor dem Zeigen, wenn der Text noch am Entstehen ist.

Meine Vorgaben sind eigentlich recht simpel: Schick mir deinen Text und stell mir zwei Fragen, worauf ich beim Coaching besonders achten soll, beispielsweise:

  • Ist eine Leseführung vorhanden?
  • Ist die Sprache für dieses Zielpublikum geeignet?
  • Zieht sich der roten Faden durch den Text?
  • Bilden Einleitung und Schluss eine Klammer? o.ä.

2. Muss ich das alles überarbeiten?

Nein, musst du nicht. In einem Coaching geht es darum, dir Möglichkeiten aufzuzeigen, Inputs zu geben, wie du weiterfahren und was du überarbeiten könntest. Es ist dein Text und daher deine Entscheidung, was du mit meinen Rückmeldungen anfängst. Sehr oft führen Rückmeldungen auch zu neuen Ideen oder weiteren Ausführungen.

Wenn du keine Lust auf neutrales und ehrliches Feedback hast, wenn du dich sogar in deiner Ehre beleidigt fühlst, wenn du weder Energie noch Zeit für die Überarbeitung hast oder aufwenden willst, dann lass dich nicht coachen.

3. Kannst du mir dieses Kapitel formulieren?

Meine Aufgabe ist es, dich beim Schreiben und der Überarbeitung deiner Arbeit zu unterstützen, zu coachen. Zuerst auf inhaltlicher Ebene. Deine Message muss klar zum Ausdruck kommen. Es ist möglich, dass du deinen Text verstehst (hoffentlich, du hast ihn ja geschrieben). Aber es ist ebenfalls möglich, dass eine andere Person mit einem anderen Vorwissen, deinen Ausführungen nur schwer folgen kann. Wir denken schneller, als wir schreiben. Unsere Gedanken springen von Thema zu Thema – daher sehen wir als Schreibende die Löcher oder fehlenden Zusammenhänge in unseren eigenen Texten oft nicht oft. Unseren Leser:innen müssen wir mehr Informationen liefern, damit sie unserer Argumentation folgen können.

Und um auf deine Frage zurückzukommen. Nein, ich werde dir dieses Kapitel nicht formulieren. Das kann ich nicht, selbst wenn ich wollte. Dein Text, deine Worte, deine Formulierungen 🙂

4. Kannst du diesen Text korrigieren?

Ich korrigiere keine Texte. Aber – ich kann dir einen kurzen Teil davon exemplarisch korrigieren und aufzeigen, wie du ihn selbst überarbeiten kannst. Wenn du mehr profitieren willst, dann stell die richtigen Fragen und du kriegst Tipps, Korrekturen nein.

  • Halte ich die Erzählzeit ein?
  • Wiederhole ich immer dieselben Wörter und Wendungen?
  • Gibt es genügend Abwechslung bei den Satzanfängen? etc.

Manchmal mache ich für engagierte Jugendliche, die wirklich grosse Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung und Interpunktion haben, eine Ausnahme. Sie haben sich dann bereits mehrere Male coachen lassen, ihre Texte überarbeitet und solange an ihnen gefeilt, bis sie stimmig und logisch sind. Dabei investieren sie viel Zeit und Herzblut, bleiben immer am Ball. Stimmt der Inhalt, suchen sie nach Synonymen, passenderen Begriffen, formulieren die Sätze um, bauen Konnektoren ein. Solche Jugendliche belohne ich, indem ich ihre Arbeiten putze, den Finish mache.

5. Welche Note / Beurteilung werde ich für diesen Text bekommen?

Wäre ich Hellseherin, dann hätte ich schon lange im Lotto gewonnen. Oder anders gesagt, eine Beurteilung hängt stark von der beurteilenden Person ab. Die Schreibberatung unterstützt dich beim Verfassen und Überarbeiten deiner Texte, sie begleitet dich auf dem Weg zu einem guten Text. Wenn Kriterienkataloge vorhanden sind, können wir dein Produkt darauf überprüfen. Wie aber schliesslich die Note oder Beurteilung ausfällt, kann ich dir nicht sagen.

2 Kommentare zu „Fünf Fragen, die ich als Schreibberaterin nicht mag

  1. Ach, wie schön! Das habe ich als Mutter auch schon gedacht: Ich helfe gern. Aber diese Art Hilfe brauchst du nicht. Dies wäre das Gegnteil von Helfen. Toller Artikel! Danke schön. Ich fühle mich bestätigt.

  2. Liebe Gabriella, dein Artikel hat mir sehr gut gefallen. Du zeigst sehr genau, welche Erwartungen ich an dich stellen kann und wie du mich beim Schreiben unterstützen kannst. Schön, dass ich mit deinen Artikeln auch einen genauen Einblick in deine Tätigkeit als Schreiberaterin bekomme. Liebe Grüße Nicole

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