Mitte August wirst du endlich richtig als Lehrperson durchstarten und deine eigene Klasse als Klassenlehrperson unterrichten und begleiten. Du freust dich, hast eine Menge Ideen, wie und was du umsetzen und erreichen möchtest. Gleichzeitig machen sich vielleicht auch Fragen oder Ängste breit, ob du denn das alles stemmen und deinen Vorstellungen gerecht wirst.
In diesem Artikel gebe ich dir meine 6 besten Tipps weiter. Sie gründen auf meinen eigenen Erfahrungen und Erfahrungen, die ich mit jungen Kolleg:innen im Team machte und meiner Tätigkeit als Praxislehrperson.
Tipp 1: Zeige dich als Mensch
Als Lehrperson der Sekundarschule bist du heute nicht in erster Linie Wissensvermittler:in oder hast dich ausschliesslich auf dein “Kerngeschäft” (sprich Fachunterricht) zu konzentrieren.
Du arbeitest mit Jugendlichen, die …
sich in der Pubertät befinden,
sich bereits in der 7. Klasse mit ihrer Berufswahl auseinandersetzen (müssen),
auf der Suche nach sich und ihren Werten sind,
gemocht werden wollen,
rebellieren,
alles besser wissen. …
Du begleitest diese Jugendlichen während der nächsten drei Jahre als Klassenlehrperson, aber vor allem auch als Mensch. Überlege dir daher, was wirklich zählt. Woran erinnerst du dich, wenn du dich an deine Schulzeit erinnerst? Sind es die perfekt vorbereiteten, gelungen Lektionen deiner Lehrerperson oder das missglückte Chemieexperiment? Ist es die gute Note des Französischtests oder den Ausflug, den ihr im ersten Schuljahr unternommen habt?
Schaffe immer wieder Gelegenheiten, damit deine Schüler:innen dich als Mensch wahrnehmen können. Es muss nicht gleich ein Klassenlager sein, Unterricht im Freien, ein Spaziergang in den Wald, um den Weiher, ein Ausflug an eine Ausstellung, ein gemeinsames Mittagessen. Gemeinsam lachen, ernsthafte Gespräche führen, sich gegeneinander in Spielen messen (und als Lehrperson verlieren können), sich in die Geheimnisse der aktuellen Jugendsprache einführen lassen – dabei lernt ihr euch näher kennen und schätzen.
Tipp 2: Sei eine verlässliche Bezugsperson
Auch für deine Schüler:innen ist alles neu. Das Schulhaus, das Schulzimmer, die Klasse, die Mitschüler:innen, die Fächer, die Regeln … Du bist als Klassenlehrperson ihre Bezugsperson. Interessiere dich für sie, nimm sie wahr, sei verlässlich. Unsere Schüler:innen sind tolle Menschen, die uns offen und vertrauensvoll (manchmal auch frech und wild) entgegentreten.
Sei transparent, konsequent und humorvoll. Lass sie fühlen, dass es jede einzelne Person in dieser Gemeinschaft braucht, dass es für alle Platz gibt. Fehler machen ist erlaubt und führt nicht zu Liebesentzug oder Ausschluss aus der Gemeinschaft. Stelle klar, dass du die Chefin / der Chef bist, aber dass ihr nur miteinander erfolgreich sein werdet. Für ihre Zukunft ist die Erfahrung einer verlässlichen Beziehung wichtiger als passé composé und die Binome.
Tipp 3: Du bist kompetent
Während deiner Ausbildung hast du verschiedene Praktika absolviert. Dabei hattest du die Möglichkeit, Einblicke in unterschiedliche Klassen sowie Erfahrungen mit mannigfaltigen Lehrpersonen und Haltungen in einer Vielzahl von Schulhäusern zu machen. Du weisst, was du als Lehrperson sicherlich nie so machen würdest, andererseits gab es Personen, die dich prägten und denen du nacheifern möchtest.
Wichtig ist: Du bist eine kompetente Lehrperson. Gleichzeitig bist du ein Individuum, einzigartig. Das bedeutet, dass du deinen Weg finden wirst. Lass dich nicht irritieren, nur weil andere nicht nachvollziehen können (oder wollen), warum du ein Thema nicht gleich behandelst. Es ist für deine professionelle Entwicklung wichtig, dass du selbst entscheidest, wie du unterrichten willst. Nur so wirst du verstehen, was zu dir passt, zu dir als Mensch, zu dir als Individuum, zu dir als Lehrperson. Kompetent bist du 🙂
Tipp 4: Nimm und lass dir Zeit
Es mag dich vielleicht irritieren, aber es ist wichtig, dass du dir einen persönlichen Zeitplan erstellst, in dem du Zeitfenster für dich, dein Hobby, deine Beziehung einträgst. Konkret: Du legst fest, wann du spätestens das Schulhaus verlässt. Egal, ob du alles erledigt hast (was keine:r von uns je schafft).
Mein Vorschlag: Wenn du nachmittags unterrichtest, verlässt du das Schulhaus um 17 Uhr. Wenn du einen freien Nachmittag hast, dann gehst du direkt um 12 Uhr nach Hause und bleibst jede zweite Woche bis 15 Uhr. An Wochenenden arbeitest du nicht für die Schule. Und abends legst du dir ebenfalls eine Deadline fest.
Du musst unbedingt noch Tests korrigieren? Wer verlangt das? Du kannst die Tests auch nach zwei Wochen zurückgeben. Ausserdem musst du nicht jeden Test von allen Schüler:innen korrigieren. Kompetenzorientiertes Beurteilen zielt weniger auf das Endprodukt als auf den Prozess ab. Und daher ist es sinnvoller, dir regelmässig zu drei, vier Schüler:innen Notizen zu machen, wie sie an Arbeiten herangehen, welche Fortschritte sie machen etc.
Tipp 5: Habe Mut zur Lücke
Zu unseren Lehrmittel gibt es ausgezeichnete Kommentare. Sie enthalten didaktische Vorschläge für die einzelnen Lektionen und zeigen auf, wie du den Unterricht gestalten kannst. In den meisten Fällen enthalten sie auch differenzierte Arbeitsblätter und Online-Materialien. Greife darauf zurück und erfinde nicht für jedes Fach und jede Lektion den Unterricht neu.
Lass dir für die gewählten Themen Zeit und habe Mut zur Lücke. Es gibt immer wieder Situationen, in denen ein Thema für die Schüler:innen bedeutsamer ist, als du dachtest. Über das sie sich austauschen und diskutieren wollen. Plane dafür Zeit ein. Es gibt kein Fach, in dem du im Unterricht alle Themen bearbeiten kannst. Also strebe dieses Ziel erst gar nicht an. Aber es folgen ja noch weitere Klassen bis zu deiner Pensionierung 🙂
Wähle pro Semester maximal ein Fach oder Thema, in das du dich vertiefen möchtest, worüber du noch zusätzliche Aktivitäten oder Unterrichtsreihen erstellst. So erarbeitest du dir im Laufe der Jahre gutes, persönliches Material, ohne dich zu verausgaben.
Tipp 6: Tausch dich mit anderen Lehrpersonen aus
Die Zeiten von “Ich und meine Klasse” sind passé. Für die heutigen Jugendlichen ist es wichtig, dass sie sich in einem (Schul)system bewegen und aufhalten, in dem kommuniziert wird. Unsere Schüler:innen müssen sehen, hören, spüren, dass wir Lehrpersonen uns untereinander austauschen. Über Inhalte, über positives Verhalten der Schüler:innen, über Schwierigkeiten und der Suche nach möglichen Hilfestellungen.
Dafür musst du Teil des Teams sein. Das erreichst du, indem du über Mittag mit anderen Lehrpersonen isst, dich in der Pause in Lehrer:innen-Zimmer aufhältst, an Jahrgangsteam-Sitzungen deine Meinung vertrittst und mitdiskutierst.
Tausche dich regelmässig mit deinen Fachlehrpersonen aus. Hör dir an, was sie dir über deine Schüler:innen erzählen. Wir alle haben blinde Flecken und nehmen nicht alles wahr, was in einer Klasse geschieht. Die Fachlehrer:innen geben dir durch ihre Rückmeldungen auch Informationen über das Klassenklima.
Je mehr Aussensichten du über deine Schüler:innen erhältst, desto besser wirst du die Jugendlichen kennen lernen und einschätzen können. Gemeinsam werdet ihr euren Fokus auf die Stärken legen und so alle Schüler:innen individuell fördern und bestärken können.
Du hast einen tollen, herausfordernden Beruf gewählt, in dem sicherlich nie Langweile aufkommt. Gib dich ein und verändere die Welt, in dem du deine Schüler:innen erleben lässt, was Unterstützung und verlässliche Beziehung bedeuten können.