Gastautor: Lorik Kryeziu (Wahlfach Schreiben)
Einleitung
Im Moment bin ich in der 3. Sek. Seit diesem Schuljahr haben wir ein neues Fach namens Projektunterricht, abgekürzt PU. Im PU-Unterricht müssen wir an mehreren Projekten arbeiten. Aktuell arbeite ich am Migrationsportrait, für das ich insgesamt 13 Wochen Zeit habe.
Im Migrationsportrait geht um die Migrationsgeschichte einer von mir gewählten Person. Es hiess, wir sollten nicht über unsere Verwandten schreiben, also fragte ich meine Mutter, ob sie jemanden kennen würde, der dafür passend wäre. Sie schlug mir ihre Freundin Valbona Yzo vor, weil sie eine spannende, aber auch eine sehr traurige Hintergrundgeschichte hat. Ich dachte, sie sei wegen einer neuen Arbeit ausgewandert, aber es war ein komplett anderer Grund, wieso sie es getan hatte.
Die Geschichte von Valbona ist sehr berührend und sie selbst ist eine starke Frau. Ich möchte euch nicht viel verraten, also viel Spass beim Lesen meines Projektes.
Herkunft und Kindheit Valbonas
Valbona Yzo ist am 01.07.1966 geboren. Vor ihrer Auswanderung lebte sie in Korç, Albanien. Sie wuchs in einer grossen Familie auf und war die jüngste von sechs Kindern. Ihre Familie lebte in guten Verhältnissen, weil alle ihrer Geschwister arbeiteten. Finanziell fehlte ihr nichts, ausser die Nestwärme ihrer Familie, die sie vermisste.
Nachdem sie die erste Klasse abgeschlossen hatte, erkrankte ihre verheiratete Schwester mit drei Kindern und war an beiden Beinen vollständig gelähmt. Mit acht Jahren war Valbona gezwungen, ihre Familie zu verlassen und sich um die Kinder ihrer Schwester zu kümmern. Sie zog von Korç aus und lebte vom Jahr 1974 bei der Familie ihrer Schwester. Ihre Kindheit verbrachte sie 120 Kilometer weg von ihrer Familie in Elbasan.
Sie konnte zwar weiterhin die Schule besuchen, aber ihr Leben veränderte sich drastisch. Bevor sie selbst in die Schule ging, musste sie zwei von drei Kindern für die Schule vorbereiten und zur Schule bringen. Neben den Hausaufgaben musste sie das Haus putzen und auf das einjährige Kind ihrer Schwester aufpassen.
Es gab nicht viele schöne Momente in Valbonas Leben, aber einer davon war jeweils Weihnachten. Sie freute sich sehr auf Weihnachten und konnte es kaum erwarten, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Mit 25 Jahren heiratete sie einen Mann, der zehn Jahre älter war und bekam mit ihm im Jahr 1996 einen Sohn. Ihr Sinn des Lebens änderte sich ab dem Moment.
Grund für die Auswanderung und Abreise
Einige Jahre nach ihrer Heirat bekam ihr Ehemann viele Probleme. Er trank sehr viel und gab sein Geld für Glücksspiele aus. Die Schulung seines Sohnes war ihm egal und er interessierte sich nicht für seine Familie. Als er 2010 an einer Alkoholvergiftung starb, wusste Valbona, dass sie nun ebenfalls riesige Probleme hatte.
Über den Tod ihres Ehemannes war sie nicht nur sehr traurig, sondern hatte auch grosse Angst. Der Ehemann von Valbona hatte sehr hohe Spielschulden bei der albanischen Mafia. Jeden Tag wurde sie von der Mafia terrorisiert und man drohte ihr, ihren Sohn umzubringen, wenn sie nicht die Schulden ihres Mannes abbezahlen würde.
Die Schwiegermutter von Valbona riet ihr, sie solle mit ihrem Sohn aus Elbasan verschwinden. Im Jahr 2011 zog sie von Elbasan nach Tirana und baute sich ein neues Leben auf. Eine Arbeit bekam sie dort sehr schnell und sie arbeitete in einem Restaurant. Eine Dauerlösung war das nicht, denn sie hatte einen tiefen Lohn und ihr Sohn bekam dort keine gute Ausbildung. Über eine Migration dachte sie nach, wusste aber nicht, wie sie umzusetzen.
Ein halbes Jahr später lernte sie ihren zweiten Ehemann kennen. Er war zu Besuch in Albanien, lebte aber in der Schweiz. Er fragte sie, ob sie zu ihm ziehen würde und sie war damit einverstanden. Der Hauptgrund, für ihre Auswanderung, war ihr Sohn. Er sollte eine bessere Ausbildung bekommen und nicht so viel leiden, wie sie es in der Vergangenheit musste. Valbona nahm nichts mit in die Schweiz, sie liess alles zurück. Sie war aber nicht traurig, weil sie alles hatte, was sie brauchte, nämlich ihren Sohn.
Ankunft in der neuen Heimat
Valbona Yzo reiste im Jahr 2013 von Albanien in die Schweiz. Zum ersten Mal mit 47 Jahren flog sie mit dem Flugzeug und hatte grosse Angst. Sie war voll mit Emotionen, als sie in der Schweiz ankam. Erleichterung spürte sie als sie lebend aus dem Flugzeug aussteigen konnte.
Sie hatte alles hinter sich gelassen, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Mit ihrem Sohn zog sie nach Seebach und lebt heute noch in diesem Quartier.
Die ersten Eindrücke, die Valbona von der Schweiz hatte, waren eher positiv. Sie meinte, die Menschen in der Schweiz seien sehr hilfsbereit, pünktlich und sehr diszipliniert im Vergleich zu der Bevölkerung Albaniens. Die Sicherheit in der Schweiz gefiel ihr sehr, weil sie es nicht gewohnt war, allein in der Nacht herumzulaufen. Die Kriminalität in Albanien ist verbreiterter als in der Schweiz und man muss dort aufmerksam sein. In der Schule merkte sie, dass sie hier in der Schweiz andere Lernmethoden benutzen als in ihrem Heimatland, somit zeigte ihr Sohn sehr viel Interesse an der Schule.
Einleben und Integration in der neuen Heimat
Das Einleben und Integration in der Schweiz verlief schwierig für Valbona. Sie hatte Angst, dass sie in ihr Land zurückgewiesen werden könnte. Einen Streit mit ihrem Ehemann konnte sie sich nicht leisten, denn eine eigene Aufenthaltsbewilligung hatte sie nicht und war abhängig von ihrem Mann.
Eine Arbeit für Valbona zu finden, war sehr schwer. Die Sprache in der Schweiz konnte sie nicht sprechen und sie machte sich viele Gedanken, als was sie hier arbeiten könnte. Viel Auswahl hatte sie nicht. Als 50-Jährige, die keine Ausbildung in den gewünschten Berufen hatte, blieb eigentlich nur noch die Tätigkeit als Reinigungskraft.
Neue Freundschaften in der Schweiz zu schliessen, war für Valbona eine Herausforderung. Sie wollte mehr Kontakt mit anderen Menschen ausserhalb ihrer Familie haben, weil sie sich allein fühlte. Erst auf der Arbeit fand sie Freunde, aber nur mit der gleichen Nationalität.
Auch heute hat sie keine Freunde mit der Schweizer Nationalität. Valbonas Meinung nach sind die Schweizer eher vorsichtiger und distanzierter als andere.
Das Leben heute und Zukunftspläne
Valbona Yzo fühlt sich nach wie vor sehr wohl in der Schweiz. Das grosse Glück, das sie in der Schweiz fand, kann sie nicht in Worten zusammenfassen.
Ihr Sohn ist heute ein sehr gebildeter Mann und besitzt ein Altersheim in Seebach. Für sie ist es ein sehr schöner Anblick, wenn sie merkt, wie weit es ihr Sohn im Leben brachte. Acht Jahre nach ihrer Migration bezeichnet sie die Schweiz als ihr Zuhause und nicht Albanien.
Sie arbeitet in einem Hotel in Seebach als Putzkraft. Geld hat sie heute genug und ist nicht auf ihren Mann angewiesen. Ihre Beziehung mit ihrer Familie in Albanien ist noch intakt. Sie geht sehr oft in den Ferien nach Albanien und besucht ihre Familie regelmässig. Valbona sagte in einem sehr stolzen Ton: «Wenn ich eine frühere Chance gehabt hätte, von Albanien wegzuziehen, hätte ich sie genutzt.»
In der Schweiz fand sie ihr das konstante, glückliche Leben, dass sie sich immer vorgestellt und gewünscht hatte. Nach ihrer Meinung sei die Schweiz der Himmel auf Erden. Viele Zukunftspläne hat sie heute nicht, sie wünscht sich nur die Gesundheit für ihre Familie.
Fazit
Das Schreiben des Migrationsportraits hat mir sehr viel Spass gemacht. Ich fand es spannend, etwas Neues über die Freundin meiner Mutter zu erfahren.
Ich habe ehrlich gesagt nicht nach dem vorgegebenen Zeitplan gearbeitet, sondern nach meinem eigenen. Es dauerte lange, bis ich die Motivation aufbrachte, das Migrationsportrait zu beginnen. Als ich dann zu schreiben anfing, konnte ich nicht mehr aufhören, weil ich es sehr interessant fand.
Valbona Yzo kann kein Deutsch sprechen, deswegen musste ich alle Fragen auf Albanisch übersetzen und wiederum alles auf Deutsch aufschreiben. Das war das Schwierigste am Migrationsportrait, weil ich lange brauchte, bis ich alles übersetzt hatte.
Würde ich Valbona nicht persönlich kennen, hätte ich ihre Geschichte nicht geglaubt. Mit acht Jahren die eigene Familie verlassen zu müssen, das ist eine unglaubliche Geschichte.
Ich bin stolz auf mich, dass ich diese Arbeit selbstständig geschrieben habe. Danken möchte ich Valbona für ihr Einverständnis, ihre Geschichte öffentlich zu zeigen.