Lernen hinterlässt immer Spuren in unserem Denken, Handeln und Leben. Mein Unterricht ist dann erfolgreich, wenn sich Schüler:innen an das Gelernte erinnern, ihnen also das Gelernte im Gedächtnis bleibt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ich als Lehrperson Arrangements schaffen, die ein Anknüpfen an bereits vorhandenes Wissen ermöglichen, Interesse wecken und zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema führen. Dies führt zu persönlichen Hefteinträgen, Diskussionsresultaten, individuelle Arbeiten und Beiträgen – kurz Spuren, mit denen die Schüler:innen ihr Lernen dokumentieren. All diese Produkte sind Lernspuren.
Warum arbeite ich mit Lernspuren
Als Lehrperson stelle ich mir folgende Fragen:
- Was sind sinnvolle Aufgaben und Aufträge, damit sich die Schüler:innen auch nach der Lektion noch mit dem Stoff befassen, ihn verarbeiten und auf die eine oder andere Art umsetzen?
- Wie schaffe ich Gelegenheiten, dass sie Gelerntes mit ihren Interessen und Gedanken verbinden können und so einen Transfer in ihre Alltagswelt herstellen?
- Woran erkenne ich, welche Inhalte ihnen geblieben sind und was sie verstanden haben?
Die Lernspuren zeigen mir, welche Experten in der Klasse vorhanden sind, was die Schüler:innen beschäftigt und woran sie interessiert sind, wo noch Klärungsbedarf besteht usw. Dadurch beeinflussen Lernspuren meinen Unterricht, da ich besser auf die Klasse eingehen und ihr Wissen und ihre Interessen miteinbeziehen kann.
Beispiele von Lernspuren
Unter einer Lernspur verstehe ich in meinem Unterricht Arbeiten von Schüler:innen, anhand derer sichtbar wird, welche Anstrengungen, Erkenntnisse, Reflexionen und Fortschritte sie gemacht haben und wie sich die Lernenden individuell mit dem Thema auseinandersetzen.
Der Auftrag für die Schüler:innen ist identisch und wird in der Regel in Einzelarbeit erstellt. Es steht ihnen aber frei, wie sie ihn umsetzen und welches Teilthema sie fokussieren möchten.
Lernspuren können
> Audiodateien
> Fotostrecken
> Texte
> Collagen
> Zeichnungen
> Filme
> Installationen
oder Kombinationen davon sein.
Lernspuren-Vielfalt in Geschichte
Als gelungenes Beispiel einer Lernspur führe ich hier ein Beispiel aus dem Fach Geschichte auf. Wir betrachteten zusammen den Kurzfilm «Kleine Hände im Grossen Krieg 6. Die Odyssee» Während des Films wurden Notizen gemacht, diese anschliessend ausgetauscht und über den Inhalt diskutiert.
Mein Auftrag an die Schüler:innen lautete, einen Hefteintrag über diesen Kurzfilm zu erstellen. Sie konnten selbst entscheiden, worauf sie ihren Fokus legen wollten. Es entstand eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Lernspuren, wie ich sie nicht erwartet hätte. Jede:r Jugendliche hat sich engagiert und ist über sich hinausgewachsen. Auszugsweise einige Beispiele:
- Genaues, detailgerechtes Nacherzählen der persönlichen Erlebnisse von Jessica (= Protagonistin im Kurzfilm)
- eine Auflistung von neuen Fakten, die über Diagramme oder Wissensboxen in Verbindung mit Vorwissen dargestellt werden
- Bilder und Karten über die Orte, die im Film behandelt werden
- Geschichte der Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählt und eigene Meinungen, Empfindungen, Gefühle als innerer Monolog einfliessen lassen
- die Geschichte als Comic umsetzen
- die Vorgeschichte Joachims (= blinder Passagier) erzählen
- die Themen Seebomben und U-Boote in einem Expertenartikel aufgreifen und mit Skizzen und Zusatzinformationen ergänzen
Vor- und Nachteile von Lernspuren
Lernspuren werden sehr individuell und mit Herzblut gestaltet. Die Schüler:innen erleben sich als selbstwirksam, was zu einer hohen intrinsischen Motivation führt.
Ich verwende Lernspuren für formative Beurteilungen. Die Rückmeldungen von mir oder/und Peer-Feedback gibt den Lernenden Hinweise über ihre Stärken und Kompetenzen, aber auch Tipps und Vorschläge, was individuelle Lernziele sein könnten. Da ich das Produkt bewusst offen lasse und folglich nie zwei identische Lernspuren entstehen, wende ich viel mehr Zeit für die individuellen Rückmeldungen auf, als wenn ich dieselbe Prüfung einer Klasse korrigierte. Auf der Beziehungsebene erreiche ich allerdings einen Mehrwert, der den zeitlichen Aufwand rechtfertigt.
Lernspuren
Lernspuren zeigen den momentanen Wissens- und Interessenstand auf. Sie sind nicht sakrosankt, dürfen mit der Zeit verblassen, werden durch neue Spuren ersetzt.
Meine Schüler:innen und ich lieben Lernspuren. Darum gibt es in meinem Unterricht immer weniger Prüfungen, Lernzielkontrollen und Arbeitsblätter, die uns im Denken und Handeln einschränken und viel mehr kompetenz- und handlungsorientiertes Lernen.
Liebe Gabriella,
Du hast einen sehr schönen Blog erstellt. Kompliment!!
Es ist sehr spannend zu erfahren, wie du mit deinen Schüler:innen «leere» kannst.
Das Thema Lernspuren ist sehr interessant. Das man Lernspuren so individuell einsetzen kann, wusste ich nicht. Ein spannendes Thema. Freue mich auf deine nächste Beiträge. 😉
Lg Ilaria
Oh so schön, das wünschte ich mir für meine Kinder auch. Interessanter Artikel, kannte vorher den Begriff nicht. Danke! Herzliche Grüessli
Deine Blogger-Kollegin
Jeannine