Meine Neuntklässler:innen sind vor den Sommerferien aus der Schule gekommen. Woran werden sie sich wohl später erinnern, wenn sie an ihre Schulzeit denken? Welche Erinnerungen und Erfahrungen ihrer Schulzeit hinterlassen Spuren und beeinflussen ihr späteres Leben, ihren Berufsalltag sowie ihre Werte?
Denke ich an meine Schulzeit, dann erinnere ich mich an unzählige Erlebnisse mit meinen Mitschüler:innen, an Streiche, an (Lehr)Personen und Persönlichkeiten. Ich erinnere mich weder an perfekte Einführungen in die Arithmetik oder Grammatik, noch an einzelne Literaturstunden.
In diesem Rückblick geht es um meine Erinnerungen an meine Schulzeit als Schülerin.
Ich erinnere mich …
Erinnerungen an den Kindergarten
- wie ich jeden Morgen meine Freundin abholte und wir zusammen zum Kindergarten liefen.
- an die Schürzen, die wir Mädchen tragen mussten. Und daran, dass uns niemand erklären konnte, warum nur wir Mädchen sie tragen mussten. Die Jungs machten sich immer viel schmutziger.
- an eine Kindergärtnerin des 2. Kindergartenjahres. Sie hiess Frau Früh, unterrichtete am Nachmittag und wir mochten sie nicht. Wir machten uns pünktlich auf den Weg in den Kindergarten und kehrten pünktlich nach Hause zurück. Allerdings verbrachten wir die Nachmittage nicht im Kindergarten, sondern organisieren uns selbst. Es war alles perfekt, bis Frau Früh vier Mütter anrief …
- an die vielen Kinderlieder und Abzählreime, (die ich zwar schon von zu Hause kannte, aber heiss liebte).
- wie stolz ich über meine ersten geschriebenen Worte war.
Erinnerungen an die Primarschule
- an die liebevoll gestalteten, detailreichen und freihändig gezeichneten Tafelbilder unseres Lehrers. Es gab weder Hellraumprojektor, Visualizer, Beamer noch Computer. Durch seine Zeichnungen holte er uns die Welt ins Schulzimmer.
- dass wir bereits in der ersten Klasse kleine Texte in ein schönes Heft abschrieben und die Texte mit Zeichnungen ergänzten.
- dass ich das Papier im Landi auswählen durfte, mit dem meine Schulbücher eingebunden wurden.
- an Peter, der vor mir sass und nie aufpasste. Unser Lehrer hatte eigene Vorstellungen darüber, wie man Disziplin im Schulzimmer herstellte. Er warf einfach das Lineal in Richtung des unaufmerksamen Schülers. Peter allerdings verfügte über eine innere Antenne, denn er wurde kein einziges Mal getroffen, da er sich immer rechtzeitig bückte. Und ich musste immer doppelt aufmerksam sein, da auch ich nicht getroffen werden wollte.
- dass wir in der 4. Klassen den Stoff der 3. Klasse nachholten.
- an den langen Schulweg (2 km), auf dem ich viel Spannendes erlebte.
- auch noch, wie meine drei Freundinnen und ich unsere Reinhefte nochmals abschreiben mussten. Sie waren leider, beim Versuch eine Abkürzung über den Bach zu nehmen, mit uns und dem Thek ins kalte Wasser (Januar) gefallen.
- an das erste Mal von uns Mädchen 🙂 . Mit Wasserfarben schminkten wir uns während der grossen Pause. Unsere Lehrer zwangen (!) uns, alles wieder abzuwaschen.
- an den Geruch der Matritzenblätter.
- dass ich nur eine bestimmte Anzahl Bücher aus der Bibliothek pro Woche beziehen durfte. Ich hielt mich nicht daran. Eines Tages gab ich es auf, die überzähligen Bücher zu verstecken, da meine Mutter alle fand und sie auch immer las.
- wie ich meinen Lehrer anlog und sagte, ich hätte die Hausaufgaben gemacht, aber zu Hause vergessen. Und er mich sie holen schickte …
- dass unsere Katze immer neben uns sass, wenn wir Hausaufgaben machten.
- wie sich Christine unter dem Pult der Lehrerin versteckte und sie während der Lektion an den Fusssohlen kitzelte. Der Schrei war eindrücklich 🙂
- dass unser Lehrer uns jede Woche eine Stunde lang aus einem Buch vorlas. Ich kaufte mir das Buch viel später und liebe Krabat heute noch.
- wie wir aus dem Fenster unseres Klassenzimmers im ersten Stock sprangen und sich nie jemand verletzte.
- wie die Klasse meines Bruders das ebenfalls versuchte und er sich dabei seine Zungenspitze abbiss.
- dass wir am Samstagmorgen zur Schule und am Nachmittag alle in die Pfadi gingen.
- an meine Brieffreundinnen. Woche für Woche tauschten wir Neuigkeiten aus und wartete begierig auf Post.
- dass wir alle zwei Wochen einen Aufsatz schrieben, den wir uns in der Folgewoche gegenseitig vorlasen.
Erinnerungen ans Gymnasium
- an den Skandal, den das Bestehen der Gymiprüfung in meiner Verwandtschaft auslöste. “Ein Arbeiterkind gehört nicht ins Gymnasium”.
- dass ich mich im ersten Gymnasium für meine Herkunft schämte.
- dass ich Angst hatte, dass meine bessere Schulbildung die gute Beziehung zu meinen Eltern zerstören könnte.
- an die neuen Welten, die ich dank des Neusprachlichen Gymnasiums entdeckte. Ich eignete mir Kenntnisse in vier Sprachen an und lernte vielfältige, unterschiedliche Literatur kennen.
- dass ich mein Taschengeld gerne für schöne Schreibstifte und Schreibbücher ausgab, weil sich so viel einfacher schreiben liess.
- wie spannend es war (und heute noch ist), dass sich über dasselbe Thema in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich schreiben lässt.
- wie fasziniert ich von Algebra war – ich hatte das Gefühl zaubern zu können.
- dass alle meine Lehrer:innen klare Regeln aufstellten und ich immer wusste, woran ich war.
- an meinen Französischlehrer, der seine zu langen Hosen kurzerhand während der Lektion mit dem Tacker kürzte.
- dass mein Wecker gleich wie die Schulglocke klang. → Wecker in den Schrank, eine halbe Stunde vor Schulschluss klingeln lassen und sich auf das Wochenende freuen. Funktionierte leider nur bei Lehrpersonen, die beim Klingeln sofort Richtung Bahnhof rannten.
- an meine Geografielehrerin, die nicht nach Australien ausgewandert war (obwohl sie dort, wie sie betonte, sicherlich einen Mann gefunden hätte).
- dass wir erfolgreich darum kämpften, eine Schulreise durchzuführen. Allerdings durfte sie nur innerhalb des Kantons Zürichs stattfinden. Im ersten Jahr gingen wir nach Rapperswil (Kanton St. Gallen), im zweiten an den Rheinfall in Schaffhausen (Kanton Schaffhausen).
- an meine Mathelehrerin. Immer gut gelaunt führte sie uns in die Geheimnisse der Mathematik und Geometrie ein. Oft begleitet von Anekdoten oder Auszügen aus der Literatur, da Wissenschaften immer Hand in Hand arbeiten würden.
- wie wir die Damen unseres Schulsekretariats mit Respekt (und Kuchen) versorgten und sie uns im Gegenzug bei der Vergabe von Billetten für das Opern– und Schauspielhaus bevorzugt berücksichtigten.
- als ich das erste Mal ein Kunstmuseum besuchte.
- an die jährliche Seeüberquerung (rund 2 km). Meine Freundin und ich starteten immer mit der ersten Gruppe und kamen mit der letzten an. Es gab nichts Schöneres, als so lange ungestört zu quasseln.
- an meinen Geschichtslehrer, dessen Ziel war, aus Papageien Denker:innen heranzubilden.
- wie uns der Rektor seinen Autoschlüssel in die Hand drückte, damit wir einen Lehrer zum Arzt fahren konnten.
- wie ich Herrn Regierungsrat Gilgen während einer Sitzung einen Kaffee reichte und er mich fünf Jahre später an der Uni wiedererkannte.
- an meine Klassenlehrerin, die explizit nicht wissen wollte, was die Eltern von Beruf sind, da die ja schliesslich nicht ihren Unterricht besuchten.
- an die Akzeptanz, Wertschätzung und Wichtigkeit, die jedes Klassenmitglied von den anderen enthielt. Egal, ob Popper, Discogirl, Sportler, Punk, Normalo, Millionärssohn, Rocker …
Wie meine Erfahrungen als Schülerin mein Leben beeinflussen
Die Schulzeit, besonders während der Pubertät, ermöglicht den Jugendlichen wichtige Momente, nicht nur für die Erinnerungen, sondern auch in Bezug auf Begegnungen, Beziehungen, Vorbilder oder ihrer Interessenbildung.
Die Erinnerungen und Erfahrungen meiner Schulzeit hinterliessen Spuren und beeinflussen heute noch mein Leben und meinen Alltag als Sekundarlehrerin. Ich hatte das Privileg, von engagierten, interessierten und wertschätzenden Lehrpersonen unterrichtet zu werden. Sie weckten in mir die Freude am Schreiben und an der Literatur. Gleichzeitig zeigten sie auf, welches Potenzial in mir steckt, machten mich neugierig auf Neues und bestärkten mich, meinen eigenen Weg zu gehen.
Schon damals liebte ich das Schreiben und die Auseinandersetzung mit Sprache. Diese Faszination ist geblieben und wird heute mit meinen Schüler:innen geteilt. Das zeigt sich beispielsweise im Projekt Bloggen mit Schüler:innen. Die Wertschätzung, die ich selbst als Schülerin erlebte, trug wesentlich zu meinem Verständnis von gutem Unterricht bei: Ich bin der festen Überzeugung, dass Beziehungsarbeit in der Schule die wichtigste Tätigkeit als Lehrperson ist.
Frau Früh erkundigte sich bei unseren Müttern, weshalb wir nachmittags nie den Kindergarten besuchten. Jede Mutter beteuerte, dass ihre Tochter das Haus pünktlich verlasse und ebenso pünktlich wieder nach Hause zurückkehre …
Und dann kannst du dir ja vorstellen, was geschah. Standpauke, ins Gewissen reden und zu Kindergarten-Besuch verdonnert 🙁 .
Aber ganz ehrlich, ich bin davon überzeugt, dass meine Mutter heimlich megastolz auf mich war.
Tatsächlich, liebe Gabriella, freue ich mich bei jeden Satz, den du schreibst, dass du inspirierende Lehrpersonen hattest, deren Begeisterung, die sie in dir entfacht haben, du an deinen Schülerinnen und Schüler weitergibst. Nur einmal hat es einen Anruf der Kita-Aufseherin bei 4 Eltern gegeben? Da habe ich heimlich gejuchzt und möchte so gern wissen, was dann passiert ist! Herzliche Grüße, Claudia aus Berlin